Autonomes Fahren: Deutschland vs. China – Wer gewinnt das Rennen?
- Silvia Josten

- vor 11 Stunden
- 3 Min. Lesezeit

Deutsche Autobauer verlieren ihren Vorsprung beim autonomen Fahren
Die Automobilindustrie steht vor der größten Transformation ihrer Geschichte. Autonomes Fahren und vernetzte Fahrzeuge werden die Mobilität der nächsten Jahrzehnte prägen. Doch während deutsche Hersteller wie Mercedes-Benz und BMW technologisch noch gut aufgestellt sind, holen chinesische Konkurrenten mit beeindruckendem Tempo auf. Eine aktuelle Studie des Center of Automotive Management (CAM) zeigt: Der deutsche Vorsprung bröckelt schneller als erwartet.
Was bedeutet autonomes Fahren? Die Level im Überblick
Bevor wir in die Details eintauchen, ist es wichtig, die verschiedenen Stufen des autonomen Fahrens zu verstehen:
Automatisierte Fahrerassistenzsysteme (ADAS):
Level 1: Unterstützung entweder beim Lenken oder bei der Geschwindigkeit
Level 2: Unterstützung sowohl beim Lenken als auch bei der Geschwindigkeit
Autonomes Fahren (AD):
Level 3: Das Fahrzeug fährt in bestimmten Situationen selbstständig
Level 4: Selbstständiges Fahren in definierten Bereichen
Level 5: Vollständig autonomes Fahren unter allen Bedingungen
Diese Unterscheidung ist entscheidend, denn deutsche und chinesische Hersteller setzen auf unterschiedliche Strategien.
Mercedes-Benz als Innovationsführer bei Level 3
Deutsche Autobauer können beim autonomen Fahren Level 3 derzeit noch punkten. Mercedes-Benz nimmt hier eine Vorreiterrolle ein: Als weltweit einziger Hersteller bietet das Unternehmen in der S-Klasse und im EQS einen Staupiloten an, der bis Tempo 95 km/h auf der Autobahn das Steuer übernehmen darf.
Das Besondere an Level 3: Der Fahrer kann zeitweise die Verantwortung vollständig an das Auto abgeben. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu Level 2-Systemen, bei denen der Fahrer stets aufmerksam bleiben muss. Mercedes plant, das Maximaltempo bis 2029/30 auf 120 bis 130 km/h zu erhöhen.
BMW folgt als "Fast Follower" mit seinem Highway- und Stauassistenten im 7er und 5er. Mit der 2026 startenden Neuen Klasse will der Münchner Konzern seine Position weiter ausbauen.
Die ernüchternden Zahlen: Chinas Dominanz wächst
Die Studie des CAM, die in Zusammenarbeit mit Cisco Systems erstellt wurde, zeichnet ein klares Bild der globalen Machtverhältnisse:
Innovationsstärke 2024:
China: 70%
Deutschland: 14%
USA: 12%
Diese Zahlen sind besonders bemerkenswert, wenn man sie mit 2016 vergleicht: Damals entfielen noch 60% der Innovationsstärke auf deutsche Hersteller. Innerhalb von nur acht Jahren hat sich das Blatt komplett gewendet.
Stefan Bratzel, CAM-Experte und Studienautor, warnt: "Bis 2028 dürften chinesische Hersteller die deutschen Autobauer bei der Innovationskraft überholt haben."
Warum China beim autonomen Fahren die Nase vorn hat
Der Erfolg chinesischer Hersteller basiert auf einer anderen Strategie. Während deutsche Konzerne auf Level-3-Systeme setzen, dominieren chinesische Marken wie BYD, Nio und Xpeng bei Level-2- und Level-2+-Assistenzsystemen.
Seit 2022 ist in China ein enormer Anstieg bei Fahrerassistenzsystemen zu beobachten. Bratzel spricht von einer "Hype-Phase". Der entscheidende Unterschied: In China ist teilautomatisiertes Fahren längst Standard, während es in Deutschland noch als Premiumfeature gilt.
Diese Systeme mögen technisch weniger anspruchsvoll sein als Level 3, aber sie erreichen deutlich mehr Kunden. Der Level-3-Markt bleibt vorerst eine kleine Nische.
VW: Vom Spitzenreiter zum Nachzügler
Besonders dramatisch ist die Entwicklung bei Volkswagen. Im Zeitraum 2020 bis 2024 ermittelte die Studie bei keinem anderen Konzern eine höhere Innovationsstärke bei der Serienentwicklung als bei den Wolfsburgern.
Doch in den vergangenen zwei Jahren landete VW weltweit nur noch auf Platz sechs – hinter fünf asiatischen Herstellern. Ein deutliches Warnsignal für Europas größten Automobilkonzern.

Robotaxis: USA und China dominieren die Zukunft
Während bei Privatfahrzeugen noch keine Level-4-Systeme verfügbar sind, sieht die Situation bei Robotaxis ganz anders aus:
Waymo (USA):
250.000 kommerzielle Fahrten pro Woche (ohne Sicherheitsfahrer)
Über 1.000 Robotaxis im Einsatz
Ziel: 1 Million Fahrten pro Woche bis Ende 2026
Baidu Apollo (China):
Ebenfalls 250.000 Fahrten pro Woche
Aktiv in über zehn chinesischen Städten
Expansion nach Deutschland und Großbritannien ab 2026 geplant
Deutsche und europäische Anbieter spielen in diesem Markt bislang keine relevante Rolle. Kommerzielle autonome Sharing-Angebote ohne Sicherheitsfahrer gibt es von europäischen Herstellern noch nicht.
Was deutsche Hersteller jetzt tun müssen
Trotz der Herausforderungen sieht Stefan Bratzel die Lage nicht hoffnungslos: "Wir sind nicht so schlecht, wie im Moment die Stimmungslage ist." Die deutsche Automobilindustrie habe mit ihren Level-3-Fähigkeiten eindrucksvoll gezeigt, dass autonomes Fahren "made in Germany" möglich ist.
Levar Ussery, Automobil-Experte bei Cisco, betont: "Das vernetzte Auto muss ein deutscher Exporterfolg bleiben." Der Schlüssel liege in der IT-Infrastruktur und KI-unterstützten digitalen Netzwerken.
Der Wettlauf ist noch nicht entschieden
Deutsche Autobauer stehen beim autonomen Fahren vor einem kritischen Scheideweg. Während sie bei Level-3-Systemen technologisch führend sind, drohen sie bei massenmarkttauglichen Assistenzsystemen und Robotaxis den Anschluss zu verlieren.
Die nächsten Jahre werden entscheidend sein. Gelingt es Mercedes, BMW und VW, ihre technologische Expertise in marktreife Produkte umzusetzen und gleichzeitig bei Level-2-Systemen aufzuholen? Oder werden chinesische Hersteller mit ihrer Volumensstrategie das Rennen machen?
Eines ist klar: Die Transformation der Automobilindustrie durch autonomes Fahren ist in vollem Gange. Und der Wettbewerb war noch nie so intensiv wie heute.
Über die Studie: Das Center of Automotive Management analysierte für die Branchenstudie "Connected Car Innovation" die Innovationsstärke von 28 globalen Automobilhersteller-Gruppen. Untersucht wurden über 750 Innovationen, davon mehr als 500 in der Serienproduktion.


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